Auch auf dem Kontinent wurden Gartenstädte gegründet
Auch auf dem europäischen Kontinent machte sich der technische Fortschritt breit. In Deutschland setzte die große Abwanderung in die Städte vor allem nach der Reichsgründung 1871 und dem folgenden wirtschaftlichen Aufschwung ein.
Steigende Mietpreise waren auch in Mannheim zu verzeichnen: Von 1904 bis 1906 wurde eine Steigerung von 10 Prozent für ein Zimmer registriert. Eine Vierzimmerwohnung brachte sogar ein Mehr von 74,86 Prozent. Die arbeitende Bevölkerung war gezwungen, sich mit immer weniger Räumen sowie mit ungesunden oder mangelhaften Wohnungen zu begnügen. Bewohnt wurden meist Ein- oder Zweizimmerwohnungen, manchmal mit vier oder fünf Personen in einem Raum. Größere Wohnungen unterteilte man in kleinere und benutzte Küche und WC gemeinsam. Nicht selten traf man auf „Schlafgänger“, die sich nur ein Bett – teilweise auch mit mehreren zusammen – leisten konnten. Manche teilten sich als Tag- oder Nachtschläfer eine Schlafstelle im Wechsel. Bald schien eine Lösung in Sicht: die Mietskaserne mit Vorder- und Hinterhaus. Allerdings war sie das Gegenteil von sonnig, luftig und gesund, nicht einmal billig.
Wie die Mannheimer Gartenstadt entstand
Zu den Pionieren der deutschen Gartenstadtbewegung gehörte Dr. Hans Kampffmeyer. 1902 war er Mitbegründer der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft in Berlin, die es sich zur Aufgabe machte, das Volk für die Gründung von Gartenstädten zu gewinnen. Das Gemeinschaftseigentum an Grund und Boden sollte jede Spekulation dauerhaft unmöglich machen. Kampffmeyer war auch am 26. August 1910 bei der Gründung der Gartenvorstadt-Genossenschaft in Mannheim dabei (die Eintragung ins Register erfolgte am 22. September 1910). Einflussreiche Persönlichkeiten, wie der SPD-Reichtagsabgeordnete Dr. Ludwig Frank und der Unternehmer Carl Reuther, gehörten neben Bürgermeister, Stadträten sowie Gewerkschaftsmitgliedern zu den Gründungsmitgliedern. Um 25000 Menschen war die Stadt in nur fünf Jahren gewachsen. Tausende von Interessenten drängten im selben Monat in eine Ausstellung von Plänen und Modellen deutscher und ausländischer Gartenstädte in der Kunsthalle (Wanderausstellung der Deutschen Gartenstadtgesellschaft).
Bei der Suche nach geeignetem Baugelände wurde man in der Südwestecke des Käfertaler Stadtwaldes fündig: Erstens war es leicht an die Versorgungsleitungen anzuschließen und zweitens nicht allzu weit von der Endstation der Straßenbahn. „Dass die Elektrische den Vorort Waldhof mit der Innenstadt verband, war eine wichtige Voraussetzung für die Wahl des Standortes der Gartenstadt in der Südwestecke des Käfertaler Waldes“, so im Geschäftsbericht der Genossenschaft. Übrigens: Schon 1913 träumten die Gartenstädter von einem Straßenbahnanschluss. Erst 1928 gab es die Omnibuslinie. Marschieren und Fahrrad fahren waren die Alternativen.
Ein 20,7 ha großes Waldgelände gab die Stadt 1910 im Erbbaurecht an die Genossenschaft unter der Bedingung, es innerhalb von 15 Jahren zu bebauen. Nach Ablauf der Frist wollte die Stadt die noch nicht bebauten Flächen zurück haben. Es sollten nur Wohngebäude mit höchstens drei Wohnungen sowie Läden, Erfrischungsanstalten und Werkstätten entstehen. Vorgesehen waren vor allem kleinere Wohnungen für Arbeiter und den mittleren Bürgerstand.
Der Bebauungsplan für das gesamte Gelände wurde den Mannheimer Architekten Esch und Anke übertragen. Gegen Süd-Ost und Süd-West öffnet sich die kleine Wohnstadt, um die Beziehung zur Arbeitsstadt Mannheim herzustellen. Nach Norden schließt sie sich ab, wie in den Mitteilungen der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft in Berlin nachzulesen ist.
Im Frühjahr 1912 erging die Genehmigung für den ersten Teilplan mit 130 Wohnungen. Die ersten Häuser, vorwiegend Einfamilienhäuser mit 38 Dreizimmer- und zwei Vierzimmerwohnungen, sind bereits am 1. Oktober 1912 an der Waldpforte. Waldstraße und am Langer Schlag fertig geworden. Wie in dem Buch „Villen und Landhäuser des Kaiserreichs in Baden-Württemberg beschrieben, waren es 1½-geschossige Gebäude mit Mansardendächern, die zusammen mit den ausgeprägten Dachsimsen, den voluminösen Fensterleibungen und dem großformatigen Eckmauerwerk Assoziationen an herrschaftliche Bauweise aufkommen ließ.
Die Bevölkerungsstruktur war mit überwiegend Facharbeitern, Angestellten und Beamten gut gemischt. Viel Mühe machte es, den sandigen Waldboden mit seinen Wurzeln zu bearbeiten. Selbstversorgung mit Gemüse und Obst sowie mit Kleintieren stand hoch im Kurs.
Die Architekten „verstanden die Häuser in den künstlerischen Ausdrucksformen der damaligen Zeit ansprechend zu gestalten und gruppierten sie in Reihen und freistehend so, dass ein abwechslungsreiches und doch geschlossenes Siedlungsbild entstand, wobei auf die Anlage der Gärten, Grünflächen und auf freie Plätze besonderer Wert gelegt wurde“, steht in der Festschrift „50 Jahre Gartenstadt-Genossenschaft“.
Tausende Besucher aus dem In- und Ausland, Architekten, Künstler, Kommunalbeamte und sogar eine Gruppe englischer Oberbürgermeister kamen im Frühjahr desselben Jahres in die Gartenstadt. Zwei vollständig eingerichtete Fünfzimmerhäuser gab die Genossenschaft zur Besichtigung frei. Besonderes Augenmerk legte man auf die gesundheitlichen Anforderungen: Es gab Querlüftung, Bad und mindestens 150 Quadratmeter Garten, aus dem der Gemüsebedarf einer Familie gedeckt werden konnte. „Da möchte man selbst wohnen“, sagte der damalige Oberbürgermeister Paul Martin.
Sogar hoheitlichen Besuch kann die Gartenstadt in ihren Annalen verzeichnen. Unter großem Beifall der Bevölkerung besuchte seine königliche Hoheit Großherzog Friedrich II von Baden am 11. Mai 1914 die festlich geschmückte Gartenstadt. Bereits 116 Familien wohnten damals in der Gartenstadt.